Dieser ausführliche Bericht über die Geschehnisse der Neujahrssturmflut 1854/'55, die das Ende des alten Westdorfes »Alt-Wangeroog« besiegelte, entstammt dem Buch »Wangeroog – wie es wurde, war und ist« aus dem Edo Dieckmann Verlag, Oldenburg (Oldb.) und wurde verfaßt von Dr. Wolfgang Sello, Eutin.
Schon im Februar 1854 hatte das Meer einen heftigen Angriff auf die Dünenkette der Insel Wangeroog unternommen und große Breschen in diesen natürlichen Schutzwall geschlagen. Dabei waren auch schon einzelne Häuser in Gefahr des Einsturzes geraten. Um Weihnachten 1854 setzte ein heftiger Sturm aus West und Nordwest ein und peitschte die hohen Wogen mit ungeheurer Wucht aufs neue gegen den Dünenwall. In der Nähe des hohen Kirchturmes und des ferner gelegenen Leuchtturms durchbrachen die Wellen die Dünenkette und strömten alsbald über weite Flächen der Insel. Am 2. Weihnachtstage wurde es besonders schlimm durch die gleichzeitig mit dem Sturm einhergehende außergewöhnlich hohe Flutwelle.
Jedermann war es klar, daß die Lage äußerst gefährlich sei, und daß Vorsichtsmaßnahmen für alle Fälle geboten seien. Immer mehr Familien fingen an, ihr Hab und Gut zusammenzupacken und sich zur Flucht nach dem höher gelegenen Südwesten der Insel fertig zu machen. Vorsorgliche Hausväter brachen ihre leicht gebauten Holzhäuser ab, um die teuren Baumaterialien für einen Wiederaufbau an sicherer Stelle zu retten. Hilfreiche Hände faßten bei den bedrängten Nachbarn mit an, es fehlten nur die Transportmittel. Man wandte sich an den Vogt Carstens, der über Pferde und Wagen verfügte. Das war für ihn mal wieder eine Gelegenheit zum Geldverdienen, und er ließ sich seine Fuhrwerkhilfe schwer bezahlen.
Inzwischen griff die Flut reißend um sich. Die Wohnung des Badearztes und der Badeknappen samt dem neuen Badehaus, die im Winter natürlich unbewohnt waren, stürzten in die andringenden Fluten. Nun nagte sie an der Klippe, auf der die Lehrerwohnung stand. Notgedrungen räumte der Schulmeister seine Räume und siedelte in das alte Badehaus über, das schon seit langem auf Betreiben des Pastoren als Asyl bei Sturmfluten bestimmt worden war. Allmählich legte sich der Wind, und die Lehrerwohnung blieb auf hoher Warte stehen. Die Bevölkerung eilte zum Kirchturm und dankte Gott für gnädige Rettung aus höchster Gefahr. An den folgenden Tagen war es ruhiges Wetter, und man schickte Nachricht zum Festland mit einer Schilderung der bedrohlichen Lage der Insel. Eine großherzogliche Kommission wurde sofort entsandt, um die Schäden zu prüfen und Hilfs- und Schutzmaßnahmen einzuleiten. Die hohen Kommissare kamen aber nur bis Carolinensiel, denn eine neue Sturmflut nahte! Am Neujahrstage des Jahres 1855 sprang der Wind um von Südwest über West nach Nordwest, er nahm von Stunde zu Stunde an Heftigkeit zu. Das Meer schwoll mit aufkommendem Hochwasser immer höher an und sandte seine Wogen durch die Dünendurchbrüche über alle Täler und Niederungen der Insel. Schaurig läutete die Glocke zum Neuen Jahr, und die Insulaner kamen in großer Zahl zum Gottesdienst, um bei Gebet und Gesang sich der Gnade des Allmächtigen zu empfehlen und um Hilfe und Rettung in der drohenden Gefahr zu erbitten. Kurz war die Andacht, denn niemand wußte, was noch bevorstand. Schaurig klang das Geläut, als die Gemeinde den Kirchturm verließ. War es nicht wie ein Trauergeläute für das ganze Dorf? Voll böser Ahnungen gingen die Insulaner heimwärts, den Blick auf die wilde Wasserwüste gerichtet, aus der einzelne Dünen wie Inseln hervorragten. Nach dem Kalender mußte Ebbe eintreten, und sie ward auch deutlich sichtbar, aber das unheimliche Brausen des Sturmes hielt an und mahnte, auf der Hut zu sein. Die kurze Zeit mußte ausgenutzt werden, und so packte man überall da, wo den Häusern Gefahr drohte, hilfreich an nach den ungeschriebenen Gesetzen der Nachbarschaftshilfe. Die Stunden eilen, und schon tritt das nächste Hochwasser ein. Jeder fühlt, daß eine Katastrophe bevorsteht. Alle Bewohner des nördlichen Inselstrandes packen ihre Habseligkeiten zusammen und bringen sie zu den südlichen Häusern, die Sicherheit zu bieten scheinen. Wieder fehlt es an Fuhrwerk, und wieder wird der Vogt bestürmt zu helfen. Aber er ist ein kalter Rechner und nur auf seinen Vorteil bedacht. Wer am meisten bietet und zahlen kann, dem wird zuerst geholfen.
Der Abend bricht herein, wo der Wind sonst sich beruhigt. Aber mit aufsteigender Flut wird er heftiger als zuvor, und lauter und unheimlicher donnern die Wogen. Gierig dringen sie weiter vor als am Morgen, bis zur Mitte des Dorfs, ja bis in die Nähe des Kirchturms. Viele Häuser stürzen krachend ein, die man am Morgen noch in Sicherheit wähnte, und das Meer macht reiche Beute. Viele Insulaner, die schon einmal umgezogen sind, werden zum zweiten und dritten Mal vertrieben, und am Ende ist das ganze nördliche Dorf auf der Flucht. Unsicher ist der Weg in die Nacht, aber der Mond beginnt zu scheinen; er leuchtet einem traurigen Zug von Flüchtlingen, niemand weiß wohin. Das Wasser dringt in den Pastoreigarten und ergießt sich über den Friedhof. Aber er ist kein Hof des Friedens mehr; die gierigen Wogen wühlen den Grund auf und spülen Särge und halbverweste Leichname heraus, ein grauenvoller Anblick! Zwecklos ist der Versuch, dem Meer seine schaurige Beute zu entreißen. Den Toten, die im weißen Dünensand die ewige Ruhe finden sollten, wird nun ein nasses Grab bereitet. Fort muß auch der Pastor, fort müssen alle von dem alten Kirchdorf, das ihnen Heimat gewesen war. Jeder muß sehen, wo er ein Unterkommen findet. Flüchtlingslos ist ein hartes Los. Die Ärmsten der Armen sind die Obdachlosen. Sie klopfen bei den nächsten Verwandten an, die ganze Insel ist ja im Grunde eine große Familie; jeder ist irgendwie mit jemandem verwandt, wenn man die Zusammenhänge auch im einzelnen nicht genau weiß. Ein paar Möbel kann mancher, dessen Haus noch stehen geblieben ist, wohl noch unterstellen. Aber Menschen aufnehmen, Mitmenschen, ganze Familien? Das überlegt sich jeder gründlich. Da könnte man doch Miete nehmen! Insulaner schließen Mietverträge mit Insulanern; der Inselvogt Carstens, immer auf Geld erpicht, geht mit trübem Beispiel voran.
Schaurige Szenen spielen sich auf der nächtlichen Flucht ab. Väter und Mütter tragen Betten auf dem Kopf und schleppen schreiende Kinder mit sich, Säcke mit Lebensmitteln auf dem Rücken. Keuchend bahnen sie sich einen Weg durch die höheren Dünen auf der Suche nach einem trockenen Plätzchen. Die Ortskenntnis kommt allen zugute. Manchmal drohte die Gefahr, daß der eine oder andere in die Fluten herabgerissen wurde, wenn er zurückeilte, um noch womöglich ein paar Habseligkeiten aus dem Zusammenbruch der liebgewordenen Wohnung zu retten. Trotzdem gab es keine Verluste an Menschenleben, niemandem fehlte ein teures Haupt, nur manche Leiche auf dem Friedhof war ein Opfer des unersättlichen Meeres geworden.
Allmählich ging der Mond unter, und wiederum nahte die Zeit der Ebbe. Langsam wichen die Wogen zurück, das war die Rettung der Insulaner. Hätte die Flut noch eine Stunde länger gedauert, so wären auch die letzten Wohnungen hinweggerissen worden, und es hätte wohl kaum einen trockenen Platz mehr gegeben. Dann hätten wohl auch die allermeisten Inselbewohner ihr Grab in den Fluten gefunden. Als die Sonne eines neuen Tages aufging, beschien sie eine schaurige Wüstenei. Von den 75 Wohnungen des alten Dorfes Wangeroog waren 21, also mehr als ein Viertel, hinweggerissen oder in Trümmer gelegt worden. Rund um den alten Kirchturm war freier Strand, wo vormals ein hoher Schutzwall von Dünen lag, und der vormalige Erdboden ringsum war mehrere Fuß tief hinweggespült. Viele Gärten waren vollständig verdorben, die dünne Ackerkrume mit dürrem Sand überspült, die Wälle niedergerissen.
Wo das Meer soviel hinweggerissen, gab es gleich nach der Sturmflut viel zu sehen. Unter den weggerissenen Dünen von Alt-Wangeroog kamen in einer Tiefe von 12–16 Fuß die Spuren eines noch älteren Wangeroog zum Vorschein. Stellenweise sah man Mauerreste von Backstein und Kalk, hölzerne Dachrinnen, Abfallhaufen, bearbeitete Gartenerde, verweste Wiesen; anderswo sah man sorgsam gebaute Wege von Kleierde, Mauern von Kleisoden, Brunnen aus Kleisoden, aufrechtstehende Tonnen, oft dicht beieinander, die anscheinend als Brunnen oder Viehtränken gedient hatten. In den Tonnen war meistenteils nur Marscherde, kaum Sand zu finden.
Der Strand an der Seeseite der Insel war überall niedriger geworden und um 2–4 Fuß abgetragen. An verschiedenen Stellen kamen Kleischichten zutage, auf denen man deutlich die Fußspuren von Rinderherden erkennen konnte, ein deutliches Zeichen dafür, daß dort in früheren Zeiten einmal Wiesen gelegen hatten. Im Norden und Nordwesten des Strandes fand man eine Menge großer Kieselsteine, sogar behauene Sandsteine, die vielleicht als Hausfundamente einer alten Siedlung gedient hatten. War es das mittelalterliche »Oppidum Wangerooch«, die Ursiedlung?
Eine merkwürdige Veränderung war mit den Brunnen der Insel vor sich gegangen. Selbst hoch gelegene Brunnen in der Mitte des Ortes wurden ihres Süßwassers beraubt und mit bitterem Meerwasser angefüllt, das von der Tiefe heraufdrückte. Auch der Pastoreibrunnen wurde davon betroffen. Man schöpfte die Brunnen mehrmals leer, manchmal 2- bis 3mal am Tag, doch immer wieder drängte das bittere Meerwasser hervor. Man holte den untenliegenden Sand heraus, schüttete Kalk zur Läuterung des Wassers hinein, aber es nützte alles nichts. Das Brunnenwasser bewahrte seinen Salzgehalt und noch länger seine Bitterstoffe. Die frühere Klarheit der Brunnen war vorbei, das Wasser nahm eine dunkle, bräunliche Färbung an und roch übel nach Verwesung. Es war ein sonderbarer geologischer Vorgang. (H. Schütte erklärte ihn durch das fehlende Sickerwasser der verschwundenen hohen Dünen, das vormals das salzige Grundwasser in die Tiefe gedrängt hatte.)
Nachdem sich Meer und Sturm einigermaßen beruhigt hatten, kam vom Festland herüber die längst erwartete oldenburgische Regierungskommission mit dem Minister von Berg, dem Regierungsrat Hofmeister, dem Deichgrafen Peters, dem Bauinspekteur Hullmann, dem Amtmann Jürgens und dem Badekommissar Keppel. Die Herren drückten ihre Teilnahme an dem Unglück und der Katastrophe aus, die den Ort und das Seebad mit seiner Bevölkerung betroffen hatte. Zugleich bedauerten sie, nicht Zeugen des heroischen Kampfes gewesen zu sein, den die kleine Insel mit dem allmächtigen Meer geführt habe. Alsdann nahmen sie die Schäden und Verwüstungen in Augenschein und erkannten, daß der Leuchtturm besonders gefährdet sei. Im fernen Südosten der Insel innerhalb der dortigen Dünenkette sollte er zum Wohle der Seefahrer neu erbaut werden.
Nachdem man alles besichtigt hatte, wurde der Gemeindeausschuß zusammenberufen, um die Wünsche und Meinungen der Inslulaner kennenzulernen. Die Bevölkerung befand sich in einer tiefen Niedergeschlagenheit über ihr Schicksal, und es gab nur zwei Vorschläge: entweder Verlegung des ganzen Dorfes nach den Ostdünen oder noch sicherer: Übersiedlung nach dem Festland! Letztere Lösung sei sogar der einzige Ausweg, wenn das herrschaftliche Badeetablissement nicht nach den Ostdünen mit hinübersiedeln könne. Finanzielle Unterstützung durch den Landtag und die Landesregierung bezeichnete Pastor Schmedes als unumgänglich notwendig, ferner bat er um einen Platz in den Ostdünen zur Anlage eines neuen Friedhofes. Dem letzteren Wunsch wurde sofort entsprochen, im übrigen wurde eine endgültige Entscheidung über die Hilfsmaßnahmen für Ende März in Aussicht gestellt. Beim Abschied übergab Minister von Berg dem Pastoren zur Linderung der schlimmsten Not eine Summe von 100 Rtl.
Schon in den nächsten Tagen richtete die Gemeinde den neuen Gottesacker ein und bestattete dort die geborgenen und von neuen Sturmfluten bedrohten Leichen, 27 an der Zahl. Eine ernste Gedenkfeier mit Gesang vereinigte die Alt-Wangerooger im Osten des Eilands. Wenige Tage später begann der Winter sein strenges Regiment und legte um die Insel eine Barriere von klirrendem Treibeis. Fast 8 Wochen dauerte diese natürliche Blockade, so daß Wangeroog bis Ende Februar keinerlei Verkehr mit dem Festland, keine Post- und Nachrichtenverbindung hatte. Zum Glück hatten die meisten Bewohner, veranlaßt durch die guten Einnahmen der Sommersaison, sich mit Vorräten aller Art genügend eingedeckt und bei herannahender Flutkatastrophe zuerst die Lebensmittel in Sicherheit gebracht. Im Frühjahr trafen auch zur Linderung der Not Liebesgabensendungen aus fernen Gegenden ein, während die jeverländische Nachbarschaft sich recht kühl zurückhielt.
Was sollte in Zukunft aus der Insel und ihren Bewohnern werden? Das war die bange Frage, die alle Gemüter bewegte. Das Schicksal von 80 Familien stand auf dem Spiel, darunter 29 Schifferwitwen mit vielen unversorgten Kinden, und manche Altersinvaliden. Jeder denkende Mensch konnte sich davon überzeugen, daß in den Trümmern des alten Dorfes keine Bleibe von Dauer sei. Fortgesetzt nagte das Meer im Westen und entführte seine Beute an Sand und Strand ostwärts. Es gab nur eine Parole, die die Vernunft einem jeden zu befolgen gebot: Flucht!
Aber wohin sollte man sich wenden, und wie sollte die Flucht oder Umsiedlung bewerkstelligt werden? Mitnahme von Hausteilen, von Baumaterial, von Hausrat und Gepäck kostete schweres Geld; der Erwerb von Grund und Boden kostete wieder Geld, der Aufbau einer neuen Existenz kostete nochmals Geld. Woher sollte man es nehmen? Wer würde eine Anleihe geben, wenn man als Sicherheit für die Rückzahlung nichts als den guten Willen bieten konnte? Auf vielen alten Häusern lasteten Hypothekenschulden; manche Wohnungen waren vom Meer hinweggerissen, aber die Schulden waren nicht mitgerissen. Viele Schiffer hatten sich ihre Schiffe auf Kredit bauen lassen, im Vertrauen auf ihren Fleiß, ihre Arbeitskraft und ihr Glück. Die kleinen Werftunternehmer wollten auch einmal zu ihrem Geld kommen. Wer sollte es vorstrecken? Es gab keine Versicherung gegen Sturmflutschäden, die hätte helfen können. Überaus traurig waren die Zukunftsaussichten für die Wangerooger Bevölkerung. Die Badeanstalt war zerstört, und dadurch fiel eine schöne Erwerbsquelle der Insulaner fort. Ohne das Seebad gab es für manche Familien keine Erwerbsquelle. Die bittere Not stand vor der Tür, denn der Inselvogt, der zugleich der Kaufmann war, wollte keinen Kredit mehr auf den künftigen Badeverdienst geben.
Anfang Juni 1855 traf eine Abordnung der Oldenburgischen Regierung und des Landtages ein, bestehend aus dem Amtmann Jürgens zu Tettens und dem Regierungsassessor Strackerjan. Das Ergebnis der amtlichen Beratungen war niederschmetternd: Die Bevölkerung von Wangeroog wurde aufgefordert, nach dem Festland überzusiedeln. Als Beihilfe für den Transport der nötigen Sachen hatte der Landtag einen Vorschuß von 3000 Rtl. bewilligt und als Notstandsbeihilfe weitere 1000 Rtl. Die herrschaftliche Badeanstalt sollte der hohen Kosten halber weder wiederaufgebaut werden noch nach den Ostdünen verpflanzt werden. Mit dem Fortfall der Badeanstalt versiegte daher eine Hauptverdienstquelle der Wangerooger Bevölkerung. Diese amtlichen Mitteilungen riefen bei allen Beteiligten tiefe Niedergeschlagenheit und Bestürzung hervor. Die in Aussicht gestellte Geldbeihilfe erschien so klein, daß sie nicht einmal ausreichte, um die Kosten für den Abbruch der Häuser, geschweige denn für den Transport und den Wiederaufbau zu decken. Die Herren befragten dann die einzelnen Familienvertreter nach ihrer Meinung; aber es waren meist Frauen, da die Männer mit ihren Schiffen zur See fuhren, und ohne Zustimmung ihrer Ehemänner wollten sie keine verbindlichen Zusagen geben. Sie bäten um Fristverlängerung.
Bald nach dem Besuch der Abordnung wurde mit dem Abbau der Badeanstalt Ernst gemacht. Der frühere Badekommissar Hauptmann Keppel übernahm die traurige Aufgabe, die geretteten Möbel des herrschaftlichen Etablissements einzupacken und nach Oldenburg zu senden. (Der Roulettespieltisch befindet sich heute im Landesmuseum Oldenburg.) Badekutschen und Wagen wurden öffentlich verkauft. Es kamen mehrere Bewohner der Nachbarinsel Spiekeroog herüber und erstanden einige Badekarren und einen großen Wagen für ihre eigene Badeanstalt, dazu Möbel. Der kapitalkräftige Wangerooger Inselvogt Carstens kauft 12 Badekutschen, mit denen er unter Beteiligung des Friseurs Lüthmann aus Oldenburg eine Privatbadeanstalt begründen wollte. Lüthmann hatte sich vom Großherzog das Privileg geben lassen, mit 12 Badekutschen ein Privatbad einzurichten. Der Gedanke war an sich richtig und gut, aber es fehlte an Zuspruch; denn auf dem Festland war vielfach die Ansicht verbreitet, daß das Seebad Wangeroog gänzlich eingegangen sei, und man hatte ungenügend Gegenpropaganda gemacht. Die wenigen Badegäste wurden gehörig geschröpft, und das Badepersonal wurde schäbig bezahlt; es erhielt kaum 1/6 des früheren Verdienstes. Bemerkenswerte Badegäste waren in der Saison 1855 der junge Erbherzog von Sachsen-Weimar mit Gefolge sowie einige Offiziere des neuen preußischen Kriegshafens an der Jade.
Das einzige eine Zukunft verheißende Ereignis des Sommers war der Baubeginn des neuen Leuchtturms im Osten der Insel. In seiner Nachbarschaft bauten sich 1863–'66 die letzten heimattreuen Alt-Wangerooger an und begründeten damit das heutige Seebad Wangeroog. Von den 342 Einwohnern der Insel im Jahr 1855 hatten sich bis 1860 über zwei Drittel, nämlich 233 Personen, entschlossen, sich auf dem Festland anzusiedeln. 171 gründeten auf dem Gelände der ehemaligen dänischen Christiansburg am Varelerhafen die Kolonie »Neu-Wangeroog«, 34 zogen nach Hooksiel, 22 nach Oldenburg und 6 nach Bremen und Bremerhaven. Damit hatte Alt-Wangeroog als Siedlung endgültig zu bestehen aufgehört. Der alte Kirchturm wurde zum »Westturm« der Insel, die einzige Erinnerung an ruhmreiche Zeiten. Im Jahre 1914 ereilte auch ihn sein Schicksal, aber nicht Wind noch Wassersnot haben ihn gestürzt, sondern die Menschen haben selber in der ersten allgemeinen Kriegsaufregung übereilt Hand an ihn gelegt und dem alten Recken ein nasses Grab bereitet. Wer denkt nicht an das Dichterwort: ..»Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand«…!