Dieser ausführliche Bericht über die Geschichte von Wangerooge entstammt dem Buch »Wangeroog – wie es wurde, war und ist« aus dem Edo Dieckmann Verlag, Oldenburg (Oldb.) und wurde verfaßt von Dr. Wolfgang Sello, Eutin.
Wer der Geschichte Wangeroogs in frühen und frühsten Zeiten nachgeht, sieht sich der gleichen Schwierigkeit gegenüber, die überall in den friesischen Gauen deutscher Nordseeküste der Arbeit des Historikers hemmend entgegentritt, der außerordentlichen Dürftigkeit und Lückenhaftigkeit der Quellen. Wohl ist uns bekannt, daß Wangeroog schon in vorgeschichtlicher Zeit bewohnt war, aber die bezüglichen Funde, Urnen mit Leichenbrand, sind in einer Zeit gemacht worden, als man von wissenschaftlicher Vorgeschichte noch nichts wußte. Sie wurden zerstreut und verkamen, eingehende Fundbeschreibungen sind nicht vorhanden, und so können wir nicht genau erkennen, welcher Periode in der weiten Spanne von der jüngeren Bronzezeit bis zur nachrömischen Eisenzeit, in der die Leichenverbrennung bei uns üblich war, sie angehören. Nach der Gesamtfundlage möchte man freilich vermuten, daß die Urnen eisenzeitlich waren, aber auch diese Einschränkung ergibt noch einen viele Jahrhunderte umfassenden Abschnitt. Ebenso kennen wir Namen und Art jener alten Bewohner nicht und wissen nur, daß um Christi Geburt Chauken an unserer Küste ansässig waren, die den westlich der Ems bis zur Zuidersee hin angrenzenden Friesen körperlich und kulturell recht ähnlich gewesen sein müssen. Noch im 3. Jahrhundert n. Chr. erobert von Osten her der Sachse den ganzen chaukisch-friesischen Küstenraum und drückt ihm den Stempel seiner Stammeskultur auf. Erst als er, durch die Abwanderung nach England im 5. Jahrhundert zahlenmäßig vor allem im Norden geschwächt, seit dem 6. Jahrhundert n. Vhr. seine politischen Interessen mehr im Süden und Südwesten seines Gebietes sucht, kann sich neuerstarkendes Friesentum in der Nähe der Küste bis zur Weser und etwas darüber hinaus vorschieben und damit den gesamten Gauen zwischen Elbe und Zuidersee den Menschentypus geben, der ganz überwiegend den Gang ihrer Geschichte in den folgenden Jahrhunderten des Mittelalters bis zur Neuzeit hin bestimmte. Damals war auch Wangeroog zur typisch friesischen Insel geworden.
Wer die nötige dichterische Phantasie besitzt, vermag sich auszumalen, wie in jenen früheren Zeiten das harte Geschlecht der männlichen Inselbewohner sein Leben auf See bei Fischfang und Raubkrieg verbrachte, während ihre stolzen, blonden Frauen daheim den kargen Herd und die geringe Habe hüteten, immer in Sorge vor feindlichem Überfall. Er mag mit ihnen im Geiste die mächtigen Römerflotten des Drusus und Germanicus vorbeiziehen sehen und die von der Weser- und Elbemündung nach England wandernden Sachsen. Er mag mit ihnen die Raubzüge der Wikinger erleben und den Aufbau des Küstenschutzes, den Karl der Große zu deren Abwehr schuf. Heroisch-grimme Waffentat sahen sie und wilden Frauenraub, wie sie das Grundthema bilden für das mittelalterliche Heldenepos des Nordens, die Gudrun; sie sahen Rüstringer Edele im frühen 11. Jahrhundert ausfahren zu einer ersten Polarexpedition weit hinauf ins Nordmeer und sächsisch-friesische Teilnehmer am Kreuzzuge von 1147 vom Ufer der Weser aus zu kriegerischer Pilgerfahrt in das Heilige Land. – Aber in all diesen langen Jahrhunderten schweigen die Quellen von Wangeroog! Erst im Anfang des 14. Jahrhunderts, im Jahre 1327, wird die Insel als »Wangeroch« in der Angelegenheit eines von dort gebürtigen Schiffskapitäns Thethardus, welcher der Teilnahme an der Verschwörung der holländischen Westergoer und Staverner gegen den Grafen Wilhelm von Holland bezichtigt wurde, urkundlich erwähnt.
Wangeroog, Oog (= Insel, nicht Auge!) von Wanga, gehörte damals zu dem gleichnamigen Gau im nördlichsten Oldenburg, welcher mit Oestringen und dem nordwestlichen Teil von Rüstringen zusammengefaßt die spätere Herrschaft Jever, das heutige Jeverland, bildet. Auf ihr lag ein Dorf, dessen Einwohner Graf Wilhelm 1327 »Stadtbürger« (oppidani) wohl etwas übertreibend nennt, und in diesem eine dem heiligen Nikolaus geweihte Kirche mit einem als Landmarke dienenden Turm. Wo dieses Dorf gelegen, können wir einigermaßen wahrscheinlich machen. Im Jahre 1666 wurde zu Vermessungszwecken auf den damals westlichen Dünen unserer Insel eine Bake errichtet, die von dem heute westlichsten Punkt der Strandmauer 2,65 km in südwestlicher Richtung entfernt lag. So weit ist also seit jenem Jahre die Insel nach Osten zurückgewichen. Noch weiter nordwestlich von jener Bake lag damals »dat ôl warf«, eine Benennung, die auf eine ehemals bewohnte Stätte deutet. Und in der Tat sind dort in früheren Tagen zur Ebbezeit Mauern, Brunnen, Münzen und sogar Furchen von Äckern und Spuren von Rindern und Schafen ans Licht getreten. Das alte Dorf werden wirhier zu suchen haben – die Neujahrsflut 1855 spülte manches frei – jetzt fließt die Harle über seine Stätte.
Die Einwohner haben sich außer mit Frachtschiffahrt vor allem in dem weiten Gebiet von Holland bis zur Elbemündung hin mit Fischfang beschäftigt, dessen Mittelpunkt auch schon, bevor im Jahre 1425 der Hering aus der Ostsee nach der Nordsee abwanderte, Helgoland war, und ihre Stellung unter ihren Berufsgenossen scheint nicht unbedeutend gewesen zu sein, wenn man dies aus dem Umstand, daß 1337 bei der Abfassung eines Helgoländer Rechtsbuches Wangerooger beteiligt waren und 1423 bei einem dort verhandelten Streitfall Olrich Smyt von Wangeroch als Richter mitwirkte, folgern darf.
Als im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts allmählich die Gaue Oestringen, Rüstringen und Wangern sich unter Landeshäuptlingen aus Wimekingischem Geschlecht zum Jeverland einten, da nahm auch Wangeroog an dieser Entwicklung teil. Ohne schwere innere und äußere Kämpfe ist diese Einigung nicht erfolgt, und vor allem seit dem letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts bildete die Insel mit dem Wangerland und Oestringen ein ständiges Streitobjekt zwischen den Wimekingischen Landeshäuptlingen und dem ostfriesischen tom Brok; am 23. Oktober 1420 trat sogar Junker Sibet die Insel samt Jever und Hohenkirchen förmlich an Ocko II. tom Brok ab, und erst von 1428 war er wieder Herr dieses Gebietes, das seitdem dauernd den Häuptlingen von Jever verblieb. Auch in den etwas vor 1415 anzusetzenden Holländerkämpfen Edo Wiemkens d. Ä., des Großvaters und Vorgängers Junker Siebets, spielt Wangeroog eine Rolle. Zweimal haben im Dienste der Holländer stehende Freibeuter die Insel überfallen und verbrannt. Dabei ging einmal die zuvor geplünderte Nikolaikirche in Flammen auf, 12 Männer wurden erschlagen und Knechte, Mägde und Kinder in die Gefangenschaft geschleppt. Und solche Überfälle werden sich zu anderen Zeiten wiederholt haben – die exponierte Vorpostenstellung der Insel mußte ja geradewegs dazu einladen. Diese Lage bedingte aber andererseits auch wieder die Bedeutung, welche Wangeroog damals, wie heute, in der Seeschiffahrt hatte. In ihrem Schutze sammelten sich gern in unruhigen Zeiten Kauffahrteischiffe zu gemeinsamen Konvoyfahrten, und vor allem als wichtger Festpunkt für die Schiffahrt zumal nach der Elbe findet sich ihr Name bereits auf italienischen Seekarten des 14. Jahrhunderts und in Segelhandbüchern jener Zeit. Als Landmarke und Ansteuerungspunkt diente damals jener im Westen stehende Nikolaikirchturm mit einer in seiner Nähe befindlichen Bake.
Im 16. Jahrhundert war die Insel im Westen – wie das noch heute bei allen ostfriesischen Inseln der Fall ist – stark im Abbruch, und dabei muß das alte Dorf zum Teil zerstört und der durch die vorhergehenden Brände wohl schon mitgenommene Nikolaikirchturm erheblich gefährdet worden sein. 1586 stand jedenfalls davon nur noch ein Stück von ca. 50 Fuß Höhe, und die an der Nordseefahrt stark beteiligte Stadt Bremen wandte sich daher an den nunmehrigen Landesherrn von Wangeroog, Graf Johann von Oldenburg – Jeverland war mit der Insel im Jahre 1575 durch Erbgang an die Grafschaft Oldenburg gekommen – mit der Bitte, den Turm erneuern zu lassen. Es geschah aber, zum Teil aus Mißgunst gegen Bremen, nichts. 1595 nun fühlte sich der Graf doch bewogen, zum Besten der Seefahrer einen neuen Turm errichten zu lassen, der als Landmarke dienen konnte. Es ist das der allen Besuchern der Insel vor 1914 wohlbekannte Westturm, dessen Bild auch dieses Heft schmückt, und zu dem der Maurermeister Berent Cappelmann aus Bremen am 11. Juli 1597 den ersten Stein legen konnte. Er erhob sich mitten in dem etwas östlich des erwähnten alten Dorfes gelegenen neuen Dorfe mit fünf Stockwerken, deren zweites als Kirche eingerichtet war, und endete oben in zwei, in der Richtung Nord-Süd stehenden Spitzen, die dem Schiffer die Festlegung seines Kurses zu Turm und Insel ermöglichen sollten. An einem nach Süden zu gelegenen Erker in der Höhe des zweiten Stockwerkes befand sich ein jetzt im neuen Westturm wiedereingemauerter Stein mit dem Oldenburger Wappen, der Jahreszahl 1597 und dem lateinischen Spruch: »Laus deo optimo maximo / Tandem bona causa triumphat« der sich auf das obsiegende Urteil, das der Graf 1594 im Prozeß um die Jeverländische Herrschaft Kniphausen erfochten hatte, bezieht. Die höhere Mittelspitze wurde erst im Jahre 1624 eingebaut, als es sich darum handelte, den Turm auch als Leuchtturm zu verwenden. 1630 wurde indessen das dort eingerichtete Leuchtfeuer wieder gelöscht, weil die Spitze durch die vielen Öllampen in Brand geraten war, und es wurde statt dessen in der Nähe eine Bake errichtet, auf der zu gewissen Zeiten ein offenes Steinkohlenfeuer brannte. Als Landmarke und Kirche hat dann der Turm durch die Jahrhunderte auf der Insel gedient, bis der Untergang des Westdorfes 1854/55 ihm den Gottesdienst nahm. Aber auch dann noch hat er als See- und Wahrzeichen ausgedauert, mühsam freilich durch kunstreiches Ingenieurwerk gestützt, von jeder Flut umspült, bis er auf die Kunde von einem bevorstehenden englischen Angriff wohl etwas allzu rasch am 23./24. Dezember 1914 in zwei Sprengungen niedergelegt wurde. Der nach dem Kriege einige hundert Meter weiter südlich errichtete neue Turm gibt in seiner Gestaltung wenigstens auf weitere Entfernung, welche die Einzelheiten unterdrückt, ein Bild des alten Recken, der in seiner Einmaligkeit jahrhundertelang eine besondere Zierde der Insel war.
Der Niederländische Freiheitskampf Ende des 16. Jahrhunderts und die großen europäischen Kriege des 17. und 18. Jahrhunderts brachten unserer Insel viel Unruhe durch überhandnehmendes Kaperunwesen. Die gräflich-oldenburgische Landesregierung vermochte hiergegen nur wenig zu unternehmen, und vollends schlimm wurden die Zustände, als Wangeroog mit dem Jeverland nach dem Aussterben des oldenburgischen Grafenhauses 1667 in Anhalt-Zerbstischen Besitz hinübergewechselt war. Im dritten Eroberungskrieg Ludwigs XIV., seit 1693, wurde die Insel ein förmlicher Malepartus der französischen Raubvögel, von wo aus sie nicht nur bis nach Helgoland kreuzend die großen über See kommenden Handelsschiffe abfingen, sondern auch den reichbeladenen Konvoyflottillen auflauerten, die über die Watten zwischen Holland und den Hansestädten fuhren. Noch 1709 und 1710 werden Kaper bei Wangeroog gemeldet; dann scheint es etwas ruhiger um die Insel geworden zu sein, wenn auch die Kapergefahr späterhin von Zeit zu Zeit wieder auflebte. Das 18. Jahrhundert war für die Insel im ganzen genommen erfreulicher. Von größeren Landverlusten im Westen ist seit dem Untergang des erwähnten alten Inseldorfes bis zum Jahre 1730 nichts bekannt, und die Insel verfügte in letzterem Jahre noch über einen ansehnlichen Weidebestand. Dann freilich muß der Abbruch im Westen etwas stärker geworden sein, und schon unter dem Fürsten Friedrich August von Anhalt-Zerbst im letzten Drittel des Jahrhunderts versuchte man der Zerstörung durch Schaffung künstlicher Dünen und weitgehende Bepflanzung derselben mit Strandhafer, allerdings mit zweifelhaftem Erfolge, Einhalt zu tun. Damals machte man auch den Versuch, Tannen, Pappeln und andere Bäume auf der Insel heimisch zu machen – leider vergebens. Zwei neuerbaute Kasernen beherbergten in den Sommermonaten das Militär der Garnison Jever.
Die Napoleonische Zeit brachte Wangeroog häufigen Wechsel der Landeszugehörigkeit. 1793 kam es mit dem Jeverland durch Erbgang in den Besitz der Kaiserin Katharina II. von Rußland. Im Frieden von Tilsit 1807 von Rußland an Holland abgetreten, wurde es 1810 mit diesem dem französischen Kaiserreiche einverleibt. Im November 1813 wieder russisch, kehrte es dann am 18. April 1818 durch völlige Besitzabtretung Rußlands zu Oldenburg zurück, bei welchem es seitdem geblieben ist. Es ist verständlich, daß in diesen wechselvollen Zeiten der Wohlstand der Bewohner gelitten hat. Die Fischerei war dort schon seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts zurückgegangen, die Handelsschiffahrt lag infolge der dauernden Kriege darnieder, und dazu wurde ein Stück Weideland der Insel nach dem anderen ein Raub des Meeres. Nur während der Kontinentalsperre hatten die Insulaner guten Verdienst durch den von Holland begünstigten Schmuggel. Als aber 1810 die Franzosen auf der Insel erschienen, dort eine Batterie bei der Steinkohlenbake errichteten und alle vorhandenen Vorräte an englischen Waren beschlagnahmten, da war es auch hiermit so gut wie vorbei.
In diese unerfreuliche Zeit fallen als erfreuliches Zukunftsmoment die Anfänge des »modernen« Wangeroog, des Seebades Wangeroog. Um das Jahr 1800 herum entstanden in Deutschland die ersten Seebäder, und für Wangeroog war es das Jahr 1804, das ihm eine entsprechende Einrichtung brachte. Damals stellte nämlich die derzeitige russische Regentin des Jeverlandes, Fürstin-Witwe Auste Sophie von Anhalt-Zerbst, auf Antrag des Inselvogtes Ammann eine Badekutsche und ein Badezelt für die Zwecke des Seebades zur Verfügung. Die Franzosenzeit verhinderte eine gedeihliche Weiterentwicklung; aber der Gedanke blieb lebendig, und im Jahre 1819 wurde von der nunmehr oldenburgischen Regierung die Seebadeanstalt mit einem Kostenaufwand von 5000 Rt. aufs neue und in größerem Umfange eingerichtet. Das Bad, vom oldenburgischen Hofe begünstigt, wurde bald bekannt, entwickelte sich gut und erlebte eine erste und nicht unbedeutende Blüte von 1829–1853 unter dem oldenburgischen Badekommissar Hofrat Westing oder richtiger unter der Leitung seiner Gatting, ber bekannten »Hofrätin« 1830 wurde an Stelle der älteren Feuerbaken ein richtiger Leuchtturm mit Drehfeuer gebaut, der zwischen dem ehemaligen Westturm und der Saline auf der nördlichen Dünenkette seinen Platz hatte. Die Saline wurde 1832 eingerichtet und auch sonst allerhand für die Insel getan. So schien sich alles erfreulich entwickeln zu sollen, als die Elemente mit einem Schlage schöne Hoffnungen zunichte machten.
Der Abbruch des Westrandes begann 1850 wieder stärker zu werden, und am 9. November d. J. erzwang eine besonders hohe Flut bereits die Aufgabe von einigen Häusern des Dorfes. War auch in den folgenden Jahren die Abtragung des Strandes geringer, so wurde doch schon damals wegen der drohenden Gefahr die Verlegung des ganzen Dorfes weiter nach Osten erwogen. Die Saison des Jahres 1854 war die beste, die das alte Bad je gesehen hat; es sollte seine letzte sein. Im November und Dezember d. J. griffen heftige Sturmfluten die Nord- und Westdünen erneut an, und am zweiten Weihnachtstage mußte infolge einer besonders hohen, mit Nordweststurm verbundenen Flut eine Reihe von Häusern geräumt und abgebrochen werden. Was diese Flut begonnen, das vollendete acht Tage später die noch gewaltigere der Silvesternacht 1854/55. Sie führte zum Untergang des Dorfes und brachte die Einwohner an den Bettelstab.
Da ein Weiterbestehen der Badeanstalt nach diesem Unglück zunächst ausgeschlossen schien, siedelte der größte Teil der Wangerooger nun nach dem Festland über, nach Horumersielund Hooksiel, vor allem aber nach der Kolonie Neu-Wangeroog beim Varelerhafen am Jadebusen, die ihnen von der oldenburgischen Regierung angewiesen war. Nur wenige Getreue hielten sich noch im alten Dorf, versuchten sogar den Badebetrieb wieder in Gang zu bringen, bauten sich aber dann, als der Abbruch im Westen noch weiter ging, im Osten der Insel um den neuen noch jetzt stehenden Leuchtturm an, der 1856 an Stelle des durch die Fluten unbrauchbar gewordenen alten von 1830 in den Ostdünen errichtet worden war. So entstand das heutige Inseldorf, bei dem in den sechziger Jahren auch wieder eine Badeanstalt eingerichtet wurde.
Die Insel selbst aber schien zunächst dem Untergang geweiht. 1860 war die Zerstörung so weit fortgeschritten, daß der alte Kirchturm, nun zum Westturm geworden, mit seinen ungenügenden Fundamenten unmittelbar am Strande stand und die Gefahr drohte, daß er einstürzte. Da griff Bremen, das großes Interesse an seiner Erhaltung als Seezeichen hatte, ein und ließ auf eigene Kosten durch den Baurat van Ronzelen den Fuß des Turmes mit einer mächtigen Steindossierung umgeben, die später mehrfach verstärkt, dem alten Recken die nötige Standfestigkeit gab, bis ihm jene Gefahr eines englischen Angriffs Weihnachten 1914 ehrenvollen Untergang vor dem Feinde brachte.
Was weiter durch Menschenhand zum Schutze der Insel geschah, das ist in Wort und Bild von berufenster Stelle in einem anderen Kapitel dieses Buches dargestellt. Nach Menschenmöglichkeit vor Zerstörung gesichert, konnte sich nun das freundliche Inselbad aus kleinen Anfängen von neuem entwickeln. Das Jahr 1891 brachte die Dampferverbindung mit Carolinensiel, 1897 wurden der Westanleger und die erste Inselbahn, am Anfang dieses Jahrhunderts der Ostanleger gebaut. Der Lloyd richtete seine Fahrten von Bremerhaven und Wilhelmshaven aus ein, die Zahl der Badegäste stieg von Jahr zu Jahr, und das Seebad entfaltete sich langsam, aber sicher zu neuer, schöner Blüte. Da kam der Weltkrieg und brachte sie jäh zum Verwelken! Wangeroog, schon vor 1914 mit zwei Batterien in den Kreis der Jadebefestigungen einbezogen, wurde nun wieder wie in früheren Jahrhunderten so oft zum Vorposten Deutschlands gegen auswärtige Feinde. Es hörte den Kanonendonner der Kreuzergefechte vor Helgoland und auf der Doggerbank, es sah seinen Westturm fallen und englische Marineflugzeuge deutscher Küste zueilen, es sah Matrosen kommen und gehen und das bunte Bild militärisch-kriegerischen Lebens. Deutschlands stolze Flotte sah es von ihrem größten Kampfe am Skagerrak siegreich heimkehren; – es sah das langsame Sterben des deutschen Kaiserreiches und das Aufdämmern einer neuen Zeit, es sah die Fahnen der Revolution! Und dann kam der »Friede«, und wieder griffen die Wangerooger wie früher so manches Mal mit eisernen Fäusten und tapferen Herzen zu, und das Ergebnis ihrer Arbeit ist das heutige, das jüngste Wangeroog. Möchte der Chronist, der einmal in späteren Tagen rückschauend dessen weitere Schicksale verfolgt, keinen neuen Niedergang, nur frohen Aufstieg zu vermelden haben!
(Anm.: Da dieser Artikel aus der 1929 erschienenen 1. Ausgabe des Buches »Wangeroog – wie es wurde, war und ist« übernommen wurde, ist verständlich, daß der Autor die unrühmlichen Ereignisse der nachfolgenden Jahre ausläßt und den Artikel mit dem Wort »Friede« schließen läßt.)